Was ist Ahnenforschung? Wozu Ahnenforschung?

Ahnenforschung ist das ausgeübte Interesse an der eigenen Herkunft. Es ist die Neugier, zu wissen, wie die Generation vor einem selbst gelebt hat. Für manchen ist es Orientierung, für einige sogar Bestätigung. In jedem Fall ist das "Ahnenzählen" eine schöne Beschäftigung und als Flucht in andere Zeiten eine willkommene Ablenkung von den Problemen des Alltags.

 

Wissenschaft und Ahnenforschung

Ahnenforschung ist eine Hilfswissenschaft. Eigentlich besteht sie nicht zum Selbstzweck, sondern um historische Zusammenhänge zu erhellen. Eine lange Aneinanderreihung von Namen ist daher nicht mehr, als ein leeres Gerüst, welches ummantelt werden will.

 

Quellen der Ahnenforschung

Ich unterscheide vier Quellen, auf die der Ahnenforscher zurück greifen sollte. Die erste Quelle sind nachvollziehbare Erzählungen und Aufzeichnungen von Verwandten und Vorfahren, beispielsweise die Erzählungen der Großmutter von ihrer Kindheit und ihren Großeltern. Diese Quelle ist der Einstieg in die Ahnenforschung und wird leider viel zu selten bis zur Neige ausgeschöpft. Die meisten Ahnenforscher entdecken ihr Interesse immer erst dann, wenn Großmutter leider selbst zu den Ahnen sich gesellt hat und sie feststellen, dass da eigentlich nichts mehr bekannt ist. 

Die zweite Quelle sind Legenden. Diese Quelle kann nicht jede Familie nutzen; aber es gibt sie fast in jeder Familie; Berichte und Aufzeichnungen über so nicht belegbare, eventuell auch unwahre Ereignisse. Legenden sind jedoch ein wichtiger Teil der Familientradition und haben meist einen wahren Kern; gleichwohl ist es nicht ihre Aufgabe, enthüllt zu werden, Legenden dienen allein der Tradition und stiften, besonders in größeren Familienverbänden, Identität. Legenden wollen erzählt werden und müssen als solche gespflegt und dokumentiert werden.

Die dritte Quelle sind wissenschaftliche Belege zu Familienmitgliedern. In Deutschland wird dazu klassisch in den Kirchenbüchern ermittelt, wer von wem wie abstammte. Neben den Kirchbüchern können eine hier nicht aufzählbare Menge an anderen Quellen verwendet werden; so beispielsweise Adressbücher, Standesämter, Gerichtsbücher und viele weitere urkundliche Belege, die in den Archiven schlummern. Um diese Quellen sinnvoll nutzen zu können, ist die Hilfe von "Profis" empfehlenswert; nicht nur das Lesen alter Schriften bereitet Mühe; das Gelesene zu verstehen und richtig zu interpretieren setzt ein sehr umfangreiches historisches Wissen weit über die Grenzen der Familiengeschichte hinaus voraus. Wie bereits geschrieben: Ahnenforschung ist nur eine Hilfswissenschaft; ein Auszug aus dem großen Ganzen.

Die vierte Quelle sind indirekte Belege zur Familiengeschichte. Ab einem gewissen Zeitpunkt wird es schwierig, Vorfahren benennen zu können oder den bekannten Namen Lebensläufe zuzuordnen. Ein Blick auf das Umfeld der damals lebenden Personen füllt oft diese Lücken. Man entdeckt mit etwas Mühe die Bedingungen des Lebensumfeldes, hört von Ereignissen jener Zeit und versteht damit einen wesentlichen Teil der Biografien seiner eigenen Vorfahren, noch bevor man teils deren Namen weiß. Endet einmal das Spiel, dass man dem Sohn einen Vater und eine Mutter zuordnen kann und hat man den ersten nachweisbaren Vorfahren erreicht, ist es sinnvoll, die Geschichte der Ahnen über dem "Spitzenahn" in die Geschichte der Region einzubetten und dort mit ausfließen zu lassen. Auch die vierte Quelle wird viel zu sehr unterschätzt. Viele Familien begnügen sich mit dem bloßen Gerüst an Namen und verstehen es oft nicht, die "Zeichen der Zeit" richtig zu deuten und vor allem zu nutzen.

 

Lohnt sich Ahnenforschung nur für Adlige?

Nun, eine durchschnittliche adlige Familie ist eine Ansammlung von Militärs, Inhabern von landwirtschaftlichen Unternehmen, Geistlichen und Beamten. Für den unvoreingenommenen Blick wirken solchen Familiengeschichten oft spannend, tatsächlich aber bietet der Blick in eine Vielzahl von Adelsfamilien eine gewisse Eintönigkeit. Natürlich hat jede Adelsfamilie stets auch einige herausragende Personen, aber diese finden sich auch in jeder und das garantiere ich: in jeder anderen Familie, gleich welcher Herkunft. Es gibt keine "unbedeutenden" Familien, aber es gibt "überschätzte" Familien, wie ich an den nachstehenden Fehlern der Praxis darstelle. Ob Adel oder nicht: Ahnenforschung ist eine Freude und daher lohnenswert für jedermann.

 

Fehler bei der Ahnenforschung

Ahnenforschung ist in erster Linie ein Spiel für Leute, die keinen dazu passenden akademischen Hintergrund haben. Dies soll auch kein Kriterium sein, doch entstehen so natürlich eine Reihe Fehler in der Praxis. Die wohl Häufigsten sollen hier erläutert werden.

1. Schlechte Quellenanalyse. Sei es aus Unwissenheit, sei es aus Bequemlichkeit; viele "Forscher" übernehmen ungeprüft Angaben aus zweifelhaften Quellen und bringen diese als Wahrheit aus. "Kopieren" und "Einfügen" ist oftmals Fehlerquelle und führen letztlich in Sackgassen, die nicht mehr Familiengeschichte, sondern nur noch Fischerei im Trüben erbringen.

2. Familienlegende als Wahrheit. Wie bereits geschrieben: eine Legende ist eine Legende, um auch eine solche zu sein. Wissenschaftlich korrekt ist eine solche Legende zu dokumentieren und als solche zu kennzeichnen. Eventuell kann man sie auch erforschen und ihren wahren Kern suchen; wichtiger ist es aber, ihren Charakter als Mythos anzuerkennen und als solchen, wie ein Wappen oder ein Erbstück anzunehmen. Fatal ist es dagegen, die Geschichte auf die Familienlegende hin umzubiegen, wenn der Widerspruch doch zu offensichtlich ist. Alte Königsfamilien waren oft göttlicher Abkunft; es war ihre Legende, ihre Identität. Aber man müsste verblendet sein, diese Götter für reale Personen zu nehmen.

3. Adlige Abkunft als Ziel. Wie beschrieben ist der Adel im Prinzip nicht aufregender als "normale" Familien. Krampfhaft eine Adelsfamilie suchen, die zufällig denselben Namen trägt und erklären, dass man eine Linie sei, die den Adel eben irgendwann "abgelegt" habe und "verbürgerlicht" wäre, ist historisch betrachtet meistens Unsinn. Die Fälle, in denen das wirklich vorgekommen sein mag, enthüllen lediglich, dass der Adel eben nicht unbedingt erstrebenswert gewesen ist, sondern wie jeder Stand, mit einer Reihe von Pflichten, Bürden und Sorgen belegt war.

4. Überhöhung der eigenen Geschichte. Ebenfalls ein fataler Fehler ist es, blind gegenüber der historischen Wahrheit die eigene Familie überhöht darzustellen. In Adelsfamilien ist das noch heute ein weit verbreiteter handwerklicher Fehler bei der Erforschung der eigenen Vorfahren. Selbst offenkundig mittelmäßige Angehörige werden mit den Großen dieser Welt, im Auftrag einer unfassbaren höheren Sache stehend dargestellt. Tatsächlich wird man damit diesen Vorfahren nicht gerecht; die Menschen, die sie wirklich einmal gewesen sind und deren Erinnerung es immer wert ist, verschwinden hinter eitlen Motiven ihrer Nachfahren. Ebenfalls dazu gehört bewusste Falschauslegung der Geschichte. Nicht jeder, der beispielsweise um 1950 in der DDR verurteilt wurde, sei es in Waldheim oder in Bautzen oder an anderen Orten, war ein Opfer eines Unrechtssystems. Eine Reihe dieser Menschen waren aktive Nazis und Kriegsverbrecher gewesen, deren Verurteilung gerecht war. Und mancher ist natürlich auch ein Urgroßvater heutiger Nachfahren. Aber auch dieser Urgroßvater war eben ein Mensch, der neben guten Dingen auch Fehler gemacht hat, eben weil er Mensch war. Und in ihm einen Menschen zu sehen, wird allein wirklich ihm gerecht. 

5. Selbstidentifikation. Ein Fehler? Betreiben wir nicht Ahnenforschung um unserer Herkunft willen? Sicher. Aber es ist nicht nötig, sich mit allen und jedem Detail der Familiengeschichte absolut identifizieren zu müssen. Die Gefahr, Objektivität einzubüßen und einige der obigen Fehler zu begehen, wird zu groß. Warum fällt es schließlich manchem schwer, sich einzugestehen, dass ein Vorfahre, der vielleicht seit über 100 Jahren tot ist, ein Verbrecher war? Weil er sich zu sehr mit ihm identifiziert und daher den nicht nötigen Drang hat, ihn zu rechtfertigen, weil er sich selbst damit rechtfertigt. Aber wozu? Und warum sucht mancher mit wirklich "blindem" Eifer im Bild seines Ur-urgroßvaters Ähnlichkeit mit sich selbst? Man hat acht Ur-Urgroßväter und stammt von 16 Personen insgesamt in dieser Generation ab; je höher man steigt, desto mehr Ahnen werden es, die je Generation einfließen. Ähnlichkeiten mit einem bestimmten Menschen sind dann höchstens zufällig. Man stammt schließlich von allen ab. Besonders der Gedanke, von welcher mathematisch großer Fülle von Personen ein Mensch schon nach 10 Generationen abstammt, ist heilsam, wieder Abstand zu gewinnen.

6. Zu viel akademischer Eifer. Eine Hilfswissenschaft, die überwiegend von "Laien" als Zeitvertreib ausgeführt wird, darf natürlich auch "privat" sein und muss auf der anderen Seite auch nicht zu wissenschaftlich sein. Nicht jedes Detail kann und muss belegt sein und nicht alles ist eine Frage des Blutes. Überhaupt; die Geschichtsforschung hat immer Grenzen. Niemand der heute Lebenden war Zeuge eines Ereignisses vor 200 Jahren und niemand kann wirklich absolut aussagen, was seinerzeit geschehen ist. Geschichtswissenschaft ist immer Interpretation der vorhandenen Quellen; Interpretationen sind Auslegungen und Annahmen. Selbst ob der Vater immer der Vater war, ist eine Annahme, egal, ob Bauer, Bürger oder Adelsmann, der Stammbaum aller ist Produkt der schweigenden Zustimmung, dass manche Dinge so sind, wie behauptet, nicht wie zu beweisen wäre. Zuletzt soll es Freude machen.